Sonntag, 23. September 2012

Das kleine Einmaleins der Manipulation der Angriffsreihenfolge

Keine Angst – es wird heute nicht so mathelastig wie die Grafik schon wieder anmuten lässt. Viel mehr geht es heute einfach um die Funktionsweisen populärer Methoden, vor seinem Gegner anzugreifen, und wie die sich zueinander verhalten. Wenn man im Doppelkampf und speziell bei der VGC erfolgreich sein will, sollte man sich darüber beim Teambau und auch allgemein stets Gedanken machen. Klar gewinnt es einem allein noch keine Spiele, wenn man zuerst angreift, aber es ist ein Faktor, der entscheidend dazu beiträgt, dass man Spiele gewinnt.

Das Diagramm ist folgendermaßen zu interpretieren: „Pfeilanfang gewinnt gegen Pfeilende.“ Die Relation ist außerdem transitiv, was heißt, wenn „A gewinnt gegen B und B gewinnt gegen C“ gilt, dann gilt auch „A gewinnt gegen C“. Wenn da noch ein paar andere, exotischere Werkzeuge dabei wären, wäre die Transitivität möglicherweise verletzt und dann hätte die Visualisierung viel mehr Pfeile gebraucht. Oder etwas weniger formal: Wenn ich etwas nicht Aufgeführtes finde, das gut gegen Bizarroraum ist, ist es nicht notwendigerweise auch gut gegen Rückenwind. (Im Verlauf des Artikels werde ich tatsächlich ein Werkzeug erwähnen, das genau auf diese Beschreibung passt!)

Damit genug Einleitung; wir starten mit dem guten alten biblischen Wetter.

Wetterfähigkeiten

Jo, das gute alte Wetter. Wassertempo und Chlorophyll sind genauso alt wie der Doppelkampf selbst; sie verdoppeln die Initiative des Besitzers der Fähigkeit im zugehörigen Wetter. Gerade Wassertempo mit Regen war schon immer eine Großmacht. Die fünfte Generation hat mit Sandscharrer auch dem Sandsturm eine entsprechende Ressource gegeben (der Hagelsturm muss wohl oder übel auf die sechste warten...), gleichzeitig aber auch Niesel und Dürre für Pokémon, die nicht Kyogre oder Groudon heißen.

Vorteile

Der erste Vorteil ist der, der solche Konzepte überhaupt so populär macht: Es ist intuitiv, einfach und effektiv. Das gilt vor allem für Wassertempo, weil die meisten Pokémon mit der Fähigkeit Wasser-Typen sind, sprich, sie werden durch das Wetter nicht nur schneller, sondern bekommen auch noch genau ihren STAB in wahnsinnige Höhen verstärkt, was ja einfach nur einladend ist. Chlorophyll und Sandscharrer haben es da von den Pokémon her nicht ganz so nutznießerisch, aber alles kann man ja bekanntlich nicht haben. Stalobor beispielsweise juckt das herzlich wenig, weil dem mit seinem von Natur aus halsbrecherischen Angriff (der gleiche wie Metagross) schon sowas wie ein Leben-Orb ausreicht, um durchaus vergleichbaren Druck im Sandsturm auszuüben. Aber zurück zur eigentlichen Aussage: wie gesagt, es ist grundsätzlich einfach, ein Pokémon mit einer Wetterfähigkeit in Fahrt zu bringen.

Ein weiterer Vorteil ist das Wetter selbst. Man macht grundsätzlich nichts verkehrt, wenn man sein ganzes Team so baut, dass es unter diesem Wetter gut arbeiten kann, vielleicht sogar brandneue Vorteile daraus zieht. Regen findet beispielsweise mit Donner und Orkan zwei Attacken, die unter dem Wetter perfekte Treffgenauigkeit haben, und Stahl-Pokémon verlieren rechnerisch ihre einfache Feuer-Schwäche. Wetter ist ein weites Feld; die Sache mit dem doppelten Tempo ist nur ein kleiner Teil davon.

Der dritte Vorteil ist gewiss nicht immer gegeben, aber wenn er gegeben ist, ist er stark: Sollte man das Wetter mit einer Fähigkeit beschworen haben und der Gegner keine Möglichkeit haben, es zu ändern, dann bleibt der Temposchub (und eventuelle andere Vorteile) für die gesamte Dauer des Kampfes verfügbar. Bleiben wir mal wieder bei Wassertempo (ja, Regen ist einfach das mit Abstand beste Beispiel): Nur die Wenigsten müssen sich keine Sorgen machen, wenn sie wissen, dass sie jederzeit von einem gut aufbewahrten Seedraking in ein kaltes, tiefozeanisches Grab gespült werden können. Wenn der Effekt der Fähigkeit nicht aufgehoben werden kann, sitzt da potenziell ewig ein Pokémon, das stets schneller ist als alles, was der Gegner ihm entgegensetzen kann.

Nachteile

Wir kommen zunächst mal zurück zu den Wetterbeschwörungsfähigkeiten. Gut an ihrer Einführung ist offensichtlich, dass man nicht mehr wie früher das Wetter manuell beschwören muss. Schlecht ist, dass es für den Gegner viel leichter wird, das vorteilhafte Wetter zu einem nachteilhaften zu ändern – das Ganze hat einen schön plakativen Namen, den Wetterkrieg. Wassertempo-Taktiken sind etwa sehr anfällig gegen Antiwetter in Verbindung mit einer druckvollen Offensive, große spezielle Drachen mit ihren wahnsinnigen Meteoren beispielsweise. Chlorophyll leidet potenziell noch mehr unter Antiwetter, nämlich falls man etwa mit Solarstrahl all-in gegangen ist. (Gigasauger, Blättersturm usw. haben diese hässliche Wetterabhängigkeit nicht, aber dafür offensichtlich andere Nachteile im Wetter.) Am mildesten dürfte der Wetterkrieg noch für Stalobor ausfallen, weil das außer dem Sandscharrer-Effekt ja genau nichts vom Sandsturm hat – der Großteil seiner Güte kommt aus Typ und Werten.

Ein weiteres Problem sind viele der anderen Tempokontrollmethoden. Paralyse ist meistens sogar schlimmer als Gegenwetter, Bizarroraum verwandelt den fast sicheren Erstschlag in vier Runden währende Lebensgefahr und Rückenwind fordert sie zu einem heißen Wettrennen. Wenn man sein Team im Gesamten aber weise baut (mehr als zweimal Wassertempo beispielsweise wäre dumm), kann man das alles umspielen.

Der letzte und offensichtlichste Nachteil ist natürlich die Verteilung der Fähigkeiten. Wenn ich bei Sandscharrer etwa schon allein von Stalobor rede, sagt das wohl so Einiges. Während Wassertempo und Chlorophyll an und für sich schon nicht wenige Mons haben, ist das Feld im Allgemeinen einfach sehr limitiert und noch dazu sieht's jeder bei der Teamvorschau kommen.

Fazit

Wetterfähigkeiten sind nichts, woran man sich klammern sollte, aber wenn sie wirken, dann wirken sie gut. Ansonsten sollte man auch immer daran denken, dass Wettereffekte überhaupt auch sehr gut geeignet sind, um ganze Teams darum aufzubauen.

Rückenwind

Und die Sache mit der schlechten Verteilung, die löst der Rückenwind. Von der Grundidee her ist der genauso intuitiv, aber es gelten komplett andere Beschränkungen. Die Wirkung rein mathematisch ist, dass für die drei Runden nach Einsatz das gesamte eigene Team die doppelte Initiative erhält.

Vorteile

Jedes der eigenen Pokémon profitiert vom Rückenwind, jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein gegnerisches. (Wetter beispielsweise könnt ja der Gegner ausnutzen, wenn er ein alleinstehendes Kappalores gegen Regen bringt oder sowas.) Das eröffnet uns eine Flexibilität, die wir mit Wetter wahrscheinlich niemals haben werden. Man kann ja sogar wirklich langsame Pokémon wie Rihornior damit schnell machen!

Dann ist Verteilung der Erlernbarkeit sehr gut, seitdem die Attackenlehrer Rückenwind im Sortiment haben. Richtig, die meisten Pokémon sind Vögel oder sonstwie Flug-Typen, aber da sind auch noch ein paar andere und die Eigenschaften sind wirklich gut verteilt. Da wären einerseits schnelle Beschwörer wie Latios, Iksbat oder sogar Strolche, denen das Setup kaum zu verhindern ist, und andererseits sind auch defensiv starke dabei, wie Suicune, Togekiss oder Dragoran.

Nachteile

Und nun geht's los... Es fängt damit an, dass der Spaß nur für drei Runden anhält. Da mindestens zwei von denen durch Schutzschild gefressen werden können, kann die Freude schnell von kurzer Dauer sein. Nun könnt man sich natürlich überlegen, Dinge wie Offenlegung oder Delegator zu spielen, aber mit denen wird man sich wiederum mächtig ärgern, wenn der Gegner gar keinen Schutzschild benutzt, wo man mit ihm rechnet. Ansonsten kann auch immer gewechselt werden. Seien es Resistenzen, seien es Bedroher, sei es was auch immer... Normalerweise wird in einem einzigen Rückenwind nicht wahnsinnig viel passieren.

Weiter geht es damit, dass der Rückenwind lachhaft einfach mit anderen hier aufgeführten Werkzeugen zu schlagen ist. Da wäre zunächst mal ein gegnerischer, zeitlich versetzt beschworener Rückenwind: Gleicht am Anfang den Vorteil aus und schafft am Ende einen kurzen Nachteil. Dann wäre da mal wieder die Paralyse, die die Taktik sofort und rücksichtslos pulverisiert. Außerdem ist Bizarroraum einfach nur ein undankbarer Gegner darin, den Effekt zu invertieren, und die Sache mit dem Wetter ist, ja, wie schon gesagt ein Wettlauf. Rückenwind gibt drei Runden Ebenbürtigkeit und sobald die vorbei sind, ist nur noch das Wetter genau wie zuvor.

Fazit

Ich zitiere (mal wieder) Scott G.: „Rückenwind ist scheiße. Benutzt keinen Rückenwind.“ Zur Entlastung hab ich zu sagen, dass ich die Aussage als eine Übertreibung (Stilmittel) sehe, mit folgendem Kern: Es ist Schwachsinn, eine gesamte Teamstrategie auf Rückenwind aufzubauen (sprich, davon abhängig zu sein), eben weil der Plan so schandhaft einfach zu brechen ist und wirklich jeder bei Verstand das schaffen kann. Es ist ein beliebter Anfängerfehler, daher betone ich das hier besonders. Wer Rückenwind wirklich effektiv und effizient benutzen will, der benutzt ihn sparsam. Wenn ihn niemand kommen sieht und dann in den Leichtsinn verfällt, seine eigene Tempokontrolle nicht mehr auf dem Feld zu haben, dann ist das Momentum mit ihm.

Wahlschal

Der hat nun das, was man wohl perfekte Verteilung nennen kann: Er ist ein Item und kann daher soweit ich weiß theoretisch von jedem Pokémon mehr oder weniger genutzt werden. Die Mechanik ist, dass der Träger des Wahlschals seine Initiative mit 1,5 multipliziert bekommt (Ergebnis wie immer abrunden), aber dafür nur eine Technik benutzen kann, solange er nicht ausgewechselt wird. Verlust des Wahlschals hebt beide Effekte mit sofortiger Wirkung auf.

Vorteile

Wetter war im Prinzip schon recht einfach – Wahlschal ist noch leichter. Der wirkt einfach grundsätzlich; es gibt keine Chance für den Gegner, den Effekt irgendwie passiv zu stören. Oder mal allgemeiner gefasst: Unabhängigkeit. Der Effekt ist absolut unabhängig von Teamkontext, Feldsituationen oder sonstwelchen „gegebenen“ Dingen.

Dann, wie gesagt, kann jedes Pokémon den benutzen. Zwar nur einmal im Team wegen der Regeln, aber das ändert am Fakt nichts. Gehen wir nun weg von der Theorie und rein in die Praxis, dann heißt das etwa, dass jedes mindestens mittelschnelle Pokémon dafür in Frage kommt, möglicherweise einen Wahlschal zu tragen, um damit effektiv alles andere zu überholen, was keinen Wahlschal trägt (bzw. keinen Rückenwind oder Vergleichbares hat, natürlich). Mal ist's Rotom, mal ist's ein Drachen, mal ist's ein Wetterbeschwörer, und manchmal ist es auch was ganz anderes, das einen Wahlschal trägt. Die Möglichkeiten werden allein durch den Pokédex begrenzt. Es folgt: Das Ganze ist sehr gerne mal eine (böse) Überraschung für den Gegner, weil er beispielsweise glaubt, er könnte mit Pokémon X vor Pokémon Y angreifen und es auf diese Weise schlagen, aber in Wirklichkeit kommt es genau andersherum.

Ein weiterer Vorteil ist, dass sich der Wahlschal gewiss nicht allein auf die Überraschung verlässt. Er wird bei Bekanntheit grundsätzlich nicht schlechter, solang der Träger nicht ausschließlich darauf ausgelegt ist, zu überraschen, sondern allgemein gut funktioniert. Selbst langsamere Kandidaten der Gruppe wie beispielsweise Despotar können, wenn sie das Item tragen, verwendet werden, um dem Gegenspieler einfach immer und immer wieder mit KOs zu drohen, bevor seine Pokémon sich bewegen können. Den Aspekt der Kontrolle setzt er daher hervorragend um.

Nachteile

Die Sperre natürlich zunächst mal. Machen wir's plakativ und nehmen nochmal Despotar als Beispiel: Wir haben Zapdos und Ramoth auf der Gegenseite und drücken deshalb Steinhagel. Die Gegenseite entscheidet sich nun jedoch, die beiden für Metagross und Gastrodon auszuwechseln – beide wohlgemerkt resistent gegen Steinhagel, sie erleiden kaum relevanten Schaden. Nächste Runde müssen wir Despotar auswechseln, sonst haben wir gute Chancen, es vorzeitig an einen Sternenhieb zu verlieren – außer dass man auf Flinch spielt (was so früh im Spiel eher idiotisch ist), reißt Steinhagel gegen die beiden überhaupt nichts und auf Knirscher umsteigen können wir ja jetzt nicht sofort. Außerdem, jetzt wieder allgemeiner, folgt aus der Sperre, dass es nur schwer möglich ist, irgendwelche defensiven Techniken zu benutzen. Die meiste Zeit sollte man angreifen.

Während der Effekt des Schals zwar grundsätzlich verfügbar sein mag, ist er trotzdem ähnlich einfach auszuhebeln wie Rückenwind. Man fresse einfach mal eine Donnerwelle und schon ist man wenn überhaupt nur noch schneller als Zeug wie Tentantel oder sowas, aber die Sperre bleibt bestehen. Rückenwind selbst ist auch nicht schlecht gegen einen Wahlschal: Wenn die gegnerischen Pokémon schnell genug sind, überholen sie für drei Runden den Wahlschal-Träger, der gleichzeitig keine Möglichkeit hat, sich selbst zu schützen. Nehmen wir stattdessen Bizarroraum, sind es gleich vier. Er verliert dafür, dass er so einfach zu gebrauchen ist, im Prinzip gegen die meisten anderen Tempomanipulationsmethoden. Am besten sieht es da vielleicht noch gegen Eissturm aus, dessen Wirkung dagegen ich hier mal noch kurz erkläre, weil sie nicht unbedingt intuitiv ist: Eine Wertsenkung auf -1 bewirkt eine Multiplikation mit 2/3. Das heißt, nach einmal Eissturm ist das Opfer praktisch nur noch so schnell, wie als ob es gar keinen Wahlschal tragen würde. Nach jedem weiteren natürlich noch langsamer.

Fazit

Der Wahlschal ist sehr mächtig, aber gleichzeitig sehr verletzlich. Sicher ist es bei diesen Fakten ganz angenehm zu wissen, dass er nur höchstens einmal pro Team verwendet werden kann. Was Teams angeht, in denen der sich überhaupt lohnt: Da gibt es keine Grenzen. Sogar in einem Team mit einer Bizarroraum-Strategie kann ein schlagkräftiges Pokémon mit Wahlschal Gold wert sein, wenn es mit Köpfchen gespielt wird.

Donnerwelle und Eissturm

Ich fasse die beiden zusammen, da sie hervorragende Synergie haben und deswegen sogar häufiger zusammen als einzeln auftreten. Zur Mechanik; Donnerwelle ist die einzige Technik, die bei normaler Treffwahrscheinlichkeitssituation zu 100% Paralyse verursacht, wobei paralysierte Pokémon nur noch ein Viertel ihrer ursprünglichen Initiative behalten und damit meistens zuletzt angreifen. Da Donnerwelle u.a. Boden-Pokémon nichts anhaben kann, wird zusätzlich gern Eissturm benutzt, der beide gegnerischen Pokémon trifft und ihre Initiative jeweils um eine Stufe senkt. Dampfwalze und Elektronetz wären dann noch Varianten mit ähnlichem Effekt; sie sind nur deutlich weniger effektiv. Ebenso mit der ungenauen Stachelspore, die zudem auch noch schlecht verteilt ist.

Vorteile

Verteilung ist ein gutes Stichwort, denn die ist ziemlich gut. Es gibt knapp 200 Pokémon aller möglichen Typen, die Donnerwelle lernen können. Für Eissturm sind es sogar noch mehr. Manche davon können auch noch beides gleichzeitig. Was will man mehr?

Weiter geht es damit, dass vor allem Donnerwelle in der Praxis sehr effektiv ist, in zweierlei Hinsicht: Erstens, die Paralyse ist kein zeitlich begrenzter Effekt, sondern hält für den Rest des Kampfes an, wenn sie nicht irgendwie geheilt wird. Zweitens, Schnelligkeitsreduktion um 75% und dazu 25%-ige Chance der Angriffsverhinderung sind insbesondere für schnelle und damit verletzlichere Pokémon absolut verheerend. Man kann enorme Vorteile schaffen, wenn der Gegner unvorbereitet ist.

Außerdem kann man speziell Eissturm (und zwar ohne zusätzlich zu paralysieren) dazu benutzen, um den Gegner zu einem Wechsel zu motivieren. Das bringt langfristig Informationen über sein Team ein und ermöglicht kurzfristig natürlich, dass ihm noch mehr von seinem Team verkrüppelt wird und/oder man freie Züge bekommt, um irgendwas anderes zu machen.

Nachteile

In der Theorie sind diese Techniken sehr leicht zu kontern. Donnerwelle wird komplett unnütz, wenn man Bodyguard dagegen bringt. Donnerwelle kann auch kein Pokémon hinter einem Delegator paralysieren, genauso wie Eissturm keines verlangsamt und zudem nur so wenig Schaden verursacht, dass es außer Knakrack oder Brutalanda nicht viele Pokémon geben kann, deren Delegator davon überhaupt bricht. In der Praxis ist es dann doch nicht ganz so einfach, weil diese Methoden genauso defensiv wie Donnerwelle/Eissturm selbst sind und damit dem Gegner Zeit geben, etwas anderes zu tun. Außerdem gibt es leider Voltolos und Strolch...

Eissturm mag zwar eine gute Ergänzung zur Donnerwelle sein, aber ganz allein ist er gegen manche Ziele äußerst ineffektiv. Der erste Treffer führt zu 2/3 Initiative und verursacht damit die größte Teilsenkung, aber für besonders schnelle Pokémon (wie beispielsweise Seedraking im Regen) ist das meistens viel zu wenig. Nach dem zweiten Treffer sind sie bei 1/2 – kann immer noch zu wenig sein, wenn man selbst nur eher langsame Pokémon auf dem Feld hat. Zum Schluss, um mit der Wirkung von Donnerwelle überhaupt vergleichbar zu werden, muss ein Pokémon ganze sechs mal vom Eissturm erwischt werden, also praktisch unmachbar.

Wie schon gesagt, das Ganze ist sehr defensiv und schluckt eigene Zeit, die man auch mit dem Angreifen verbringen könnte. Spätestens, wenn man anfängt, eine der Techniken gleich mehrfach im Team zu verwenden, muss man aufpassen, dass man sich bildlich gesprochen nicht irgendwann dahinter versteckt, denn je mehr man damit um sich wirft, desto leichter wird man selbst angreifbar.

Fazit

Nachteile hin oder her, eines ist amtlich: Dieses Werkzeug ist sehr, sehr mächtig und es ist für so gut wie niemanden angenehm, dagegen zu spielen, weil die Taktik extrem nervig und nur sehr beschränkt konterbar ist. Eine Möglichkeit, um das zumindest ansatzweise zu tun, ist der...

Bizarroraum

Noch nicht mächtig genug? Wie wär es dann damit, dass wir die Schlagreihenfolge für die nächsten vier Runden komplett invertieren? Genau das passiert, wenn Bizarroraum erfolgreich eingesetzt wird. Weil das ein äußerst starker Effekt ist, ist die Priorität der Beschwörung allerdings die geringste.

Vorteile

Erstmal ganz offensichtlich: Bizarroraum bricht schnellen Pokémon das Genick. Sie können bei dem Feldeffekt nur noch funktionieren, wenn die Feldsituation gerade so aussieht, dass der Verursacher im Moment keine guten Attacken dagegen hat – andernfalls ist die Wahrscheinlichkeit nicht gering, dass das schnelle Pokémon besiegt wird, bevor es angreifen kann. Diese Tatsache ist womöglich auch einer der Gründe dafür, warum sich im Metagame defensiv ausgerichtete Teams durchgesetzt haben – sie fallen ja nicht sofort auseinander, wenn man ihnen den TR gibt.

Etwas weniger offensichtlich aber wahrscheinlich noch wertvoller: Momentum. Bizarroraum ist das, was Rückenwind gerne wäre – ein noch stärkeres Werkzeug, um eine schlechte Situation in eine gute zu verwandeln. Stärker aus zwei Gründen: Erstens, der Effekt wirkt für eine Runde mehr, und zweitens, es ist schwerer, das Ganze zu kontern. Eng damit verbunden ist übrigens auch die Tatsache, dass Bizarroraum auch benutzt werden kann, um sich selbst vorzeitig aufzuheben. Aus all diesen Gründen sieht man nicht selten Teams, die eigentlich grundsätzlich gar keine Bizarroraum-Strategie verfolgen, sondern die Technik nur für spontane Aktionen führen.

Nachteile

Fangen wir mal wieder an mit der Verteilung. Es sind hauptsächlich Geist- oder Psycho-Pokémon, die Bizarroraum erlernen, und von den wenigen, die einen anderen Typen oder zumindest keine Geist/Unlicht-Schwäche haben, sind die meisten kaum spielbar – Porygon2 ist da die positive Ausnahme. Die Konsequenz ist, dass man insbesondere dedizierte TR-Teams dann gerne mal mit Pokémon wie Despotar oder Skelabra ärgern kann.

Die geringe Priorität bzw., etwas verständlicher, die Tatsache, dass die Beschwörung die letzte Aktion der Runde ist. Ein Bidiza könnte einem Gengar einfach davor ins Gesicht spucken, so und nicht anders. In der Praxis wird man das Szenario genau mit diesen Pokémon zwar nicht erleben, aber der Punkt ist: Das Setup wird definitiv von beiden gegnerischen Pokémon bedroht. Um es zu verhindern, können sie den Beschwörer entweder schlagen oder ihn durch Techniken wie Verhöhner, Mogelhieb, Pilzspore, Begrenzer oder einen glücklichen Steinhagel davon abhalten, seine Arbeit zu tun. Die hohe Kunst liegt daher darin, als TR-Spieler Situationen zu schaffen, in denen es keinen Weg gibt, das Setup zu verhindern.

Der letzte Nachteil, wenn man so will, ist, dass der Bizarroraum einem niemals einen Vorteil von selbst verspricht, soll heißen: Es ist immer möglich, dass der Gegner ein noch langsameres Pokémon als das gesamte eigene Team hat, wodurch man ihm plötzlich einen Vorteil schenken könnte. Das ist der wohl größte Unterschied in der Effektivität zu Donnerwelle/Eissturm, weil man sich mit denen nicht so einfach ein Eigentor schießen kann – sie verschaffen einem grundsätzlich positive Deltas.

Fazit

Es lässt sich sagen, dass Bizarroraum sogar noch mächtiger als Donnerwelle/Eissturm ist, aber dafür auch mit mehr Risiken verbunden. Man gebrauche ihn weise, dann hat man bald den Kampffluss mitten in seiner eigenen Hand.

Die gestrichelte Linie im Diagramm bedeutet übrigens, dass Bizarroraum gegen Donnerwelle/Eissturm nur dann einen wirklichen Vorteil hat, wenn ein Pokémon paralysiert wird, das „zu schnell“ ist. Wenn sie, was der allgemeine Fall ist, aber sowieso schon langsam genug sind, werden sie durch die Viertel-Chance des Nichtangriffs nur behindert – es ist also unter dem Strich doch eher ein ausgeglichenes Matchup.

Erhöhte Priorität

Das ganze Vorteil/Nachteil-Zeug spar ich mir hier mal – die starke Beschränktheit macht es irgendwo überflüssig. Beschränktheit insofern, dass nur wenige Pokémon damit gesegnet sind, wirklich gute Dinge mit erhöhter Priorität tun zu können und selbst wenn, dann gewinnen sie damit allein trotzdem noch keine Spiele, weil die Attacken meistens schwach oder sonstwie gehandicapt sind (bzw. Strolche greifen überhaupt nicht für Schaden an) – es ist einfach nur ein nettes Werkzeug, das sich immer wieder als hilfreich erweisen kann. Fakt ist nämlich, dass Priorität noch mächtiger als alles andere hier genannte ist: Paralyse verringert keine Priorität (hat nur die davon unabhängige 25%-Chance auf nichts), Bizarroraum invertiert keine Prioritäten, Rückenwind erhöht keine Priorität, Wahlschal schon gar nicht usw. Oder andersrum gesagt: Erhöhte Priorität ignoriert alles, was zuvor vorgestellt wurde, weitestgehend. Das ganze Zeug spielt erst dann wieder eine Rolle, wenn mehrere Pokémon mit der gleichen Priorität angreifen.

Andere Methoden

Was wir bisher gesehen haben, war nur das Standardzeug; daneben gibt es noch etliche andere, unkonventionellere Methoden, um mit der Angriffsreihenfolge zu spielen. Ich geh vielleicht einfach mal die Bildchen durch, da die alle was ganz anderes machen: Zobiris kann einen Schwerfschweif tragen und den mit Strolch-Trickbetrug relativ ungefährdet einem gegnerischen Pokémon geben. Yanmega wird durch Temposchub nach jeder Runde, in der es etwas tut, schneller. Metagross tut's mal andersrum; man sieht es vor allem in Japan häufig mit Hammerarm, um Bizarroraum zu unterwandern oder auch selbst besser zu nutzen. Gleichzeitig lernt Metagross theoretisch aber auch immer noch Agilität, die nach einmaliger Anwendung dem Effekt von Rückenwind entspricht, nur für sich allein und ohne zeitliche Beschränkung. Togekiss (mit Wahlschal vorzugsweise, sonst nimmt man lieber Chillabell oder ein anderes schnelles Pokémon) ist ein möglicher Anwender für Galanterie – die lässt den Partner direkt danach ziehen, wobei sogar eine möglicherweise geringere Priorität seiner Technik ignoriert wird. Verzögerung (mit Kramurx als wahrscheinlich bestem Anwender) hat genau den umgekehrten Effekt: Sie lässt das Ziel unabhängig von der Priorität definitiv zum Schluss der Runde ziehen – vorzugsweise auf ein gegnerisches Pokémon anzuwenden, natürlich. Und wer weiß, was es noch so gibt; das war nur eine Auswahl der ganzen Exoten.

Das Beste aus allen Welten

Es ist natürlich Quatsch, sich von vornherein darauf festzulegen, definitiv nur eines der aufgeführten Werkzeuge zu benutzen. Solange beispielsweise kein Bizarroraum beteiligt ist, stehen die sich ja schonmal so gut wie gar nicht gegenseitig im Weg, also entsteht einem kein direkter Nachteil, beispielsweise Rückenwind und trotzdem ein Pokémon mit Wahlschal zu verwenden. Wenn wir nun Bizarroraum als Spezialfall betrachten, dann stellen wir fest, dass zumindest Priorität damit harmoniert, also die beiden auch vollkommen bedenkenlos kombiniert werden können. Nichtsdestotrotz: Es kommt definitiv vor, dass Leute Bizarroraum zusammen mit unpassenden anderen Werkzeugen benutzen, und die Idee ist auch keinesfalls so doof wie sie oberflächlich betrachtet aussieht. Momentum lautet da, einmal mehr, das Zauberwort. Wer so widersprüchliche Mittel verwendet, erhält dafür, dass er dieses Risiko eingeht, noch mehr Kontrolle.

Das führt zur offensichtlichen Frage: Was ist eigentlich der optimale Weg? Da gibt es genauso keine Antwort wie auf die beliebte Frage nach dem „perfekten Team“, und das Metagame der Weltmeisterschaft ist der Beweis dafür. Weltmeister Ray R. hat außer Bizarroraum auf Cresselia beispielsweise überhaupt nichts gehabt, sein Viertelfinalgegner Jumpei Y. hatte sogar nur einen Wahlschal ohne irgendwas anderes, aber andererseits gibt die Top 10 in Form des Teams von Scott G. auch eines her, das Bizarroraum, Wassertempo mit Regen und auch noch Angriffspriorität auf zwei Pokémon verwendet. Dann war Sand durch Joe P. sogar im Halbfinale vertreten. Wer nun noch Donnerwelle/Eissturm vermisst, wird beispielsweise im Finale bei Wolfe G. fündig. Es sind eben alles nur Werkzeuge – kleine Hilfsmittel für Teams, um sie voranzubringen.


Ohje, wieviel kürzer wär das doch geworden, wenn ich es einfach als Stichpunktliste gemacht hätte... Na ja, wär ja langweilig gewesen. Weiter geht es am nächsten Wochenende und womit, das wird sich zeigen.

Der Friede sei mit Euch.

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